Donnerstag, 11. April 2013

Pflegen auf Indisch

Wie bereits in einigen vorherigen Blog Einträgen erwähnt, möchte ich noch etwas über meine Erfahrungen in den indischen Krankenhäusern berichten.
Um wenigstens einen kleinen Einblick in das indische Gesundheits- und Pflegesystem zu geben, werde ich ein paar Fakten und Erlebnisse darlegen, leider kann ich nicht alles aus meiner sehr aufregenden und spannenden Zeit erzählen.

In Deutschland habe ich vor circa zweieinhalb Jahren meine Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen.
Ich war wahnsinnig gespannt, was mich wohl in einem indischen Krankenhaus erwarten wird.
Wie wird sich die Arbeit und die Aufgaben der indischen Krankenschwestern von unserer unterscheiden?
Was macht in einem Land wie Indien die Pflege aus?
Was für ein Verständnis von Pflege und vom Umgang mit dem Patienten haben die indischen Krankenschwestern?
Gibt es Standards und Vorschriften wie bei uns?
Was für eine medizinische Ausstattung werde ich in einem indischen Krankenhaus vorfinden?
All diese und noch viel weitere Fragen habe ich mir gestellt, bevor ich meinen Dienst angetreten habe!
Die Antworten darauf sollte ich ziemlich schnell bekommen!

Nun aber zuerst ein paar Worte zu dem deutschen Verständnis von Pflege.
In meiner Ausbildung habe ich gelernt, den Menschen ganzheitlich zu sehen, mit allem was dazu gehört. Es steht nicht nur die Krankheit, wegen der der Patient im Krankenhaus ist, sondern seine ganze Persönlichkeit im Mittelpunkt.
Unsere Aufgaben umfassen die Unterstützung des Patienten in den verschiedensten Tätigkeiten des alltäglichen Lebens.
Wir waschen die Menschen, helfen ihnen beim Ankleiden, beim Essen, beim Laufen, einfach bei allem, wozu sie Hilfe benötigen.
Natürlich unterstützen wir auch die medizinische Therapie.

Während meines Einsatzes hier in Indien durfte ich in zwei verschiedenen Krankenhäusern arbeiten. Die erste Hälfte habe ich in Bobbili, in einem von Schwestern geführten, privaten Krankenhaus verbracht, die zweite Hälfte durfte ich im government hospital von Parvathipuram mithelfen.
Beide hospitals waren sehr interessant und ich konnte sehr viel sehen und lernen!
Das private Krankenhaus verfügt über etwa 20 Betten und in der Regensaison kamen jeden Tag mindestens vier bis fünf neue Malaria Fälle. Ich hab vor allem die Behandlung der Malaria und einige chirurgische Versorgungen mitbekommen.
Ebenso kamen einige Frauen, um ihr Kind auf die Welt zu bringen.
Die frisch geborenen Babys durfte ich dann immer nach indischer Tradition baden, einölen und ganz dick einpudern!
In diesem Krankenhaus muss jeder Patient für seine Behandlung selbst bezahlen, dafür dürfen die Frauen nach der Geburt allerdings noch ein paar Tage im Haus verbringen. Hier gab es auch die Möglichkeit ein Einzelzimmer zu nehmen, was natürlich mehr gekostet hat.
Im government hospital war ich ausschließlich im Kreißsaal tätig. Ich durfte die Hebammen bei den Geburten unterstützen und mich anschließend um die Babys kümmern.
Täglich kamen bis zu acht Frauen um zu entbinden. Somit war immer etwas los, der Kreißsaal ist sogar mit zwei Liegen ausgestattet, so dass zwei Frauen gleichzeitig gebären können...was manchmal auch durchaus der Fall war.
Die Behandlung ist komplett kostenlos, ebenso die Medikamente, alles wird von der Regierung bezahlt. Allerdings werden die Frauen bereits zwölf bis 24 Stunden nach der Geburt entlassen.
In diesem Krankenhaus gibt es insgesamt 100 Betten für 200 Patienten, jedes Bett wird also doppelt belegt. Die Patienten sind in Zimmern mit insgesamt 20 Betten untergebracht und teilen sich alle eine Toilette. Meistens liegen Patienten mit ansteckenden Krankheiten direkt nebeneinander, so kann es schon mal vorkommen, dass man auf Grund von Malaria ins Krankenhaus geht und es mit Tuberkulose wieder verlässt (Tuberkulose ist eine der häufigsten Krankheiten in Indien).

In meinem ganzen Einsatz habe ich insgesamt 15 Geburten, davon zwei Kaiserschnitte, drei Abtreibungen, etliche Malaria Behandlungen, Verbrennungen und noch vieles mehr gesehen.
Die Arbeit und das Vertrauen, welches mir von den Krankenschwestern entgegengebracht wurde, waren für mich eine wunderschöne Erfahrung und es hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Dennoch schwankten meine Gefühle während der Arbeit häufig zwischen Verzweiflung, Ekel, Trauer und Wut hin und her.
Die hygienischen Zustände in beiden Häusern waren katastrophal!
Es gab nicht genug Handschuhe, im private hospital wurden diese sowieso nur für die Operationen verwendet, alles andere musste ohne gehen, auch wenn man mit Blut in Kontakt gekommen ist. Die Händedesinfektion ist ihnen leider auch nicht bekannt.
Im government hospial gab es allerdings eine Seife, die sich alle im Dienst Anwesenden geteilt haben. Manchmal war diese aber auch aufgebraucht.
Natürlich wusste ich schon vorher, dass vor allem die hygienischen Zustände sehr schlimm sein werden, aber dieses Ausmaß hätte ich nicht erwartet.
Das Operationsbesteck wurde beispielsweise nicht sterilisiert oder wenigstens desinfiziert sondern einfach nur mit ganz normalem Wasser abgewaschen, Instrumente, die bei einer Geburt verwendet wurden, wurden blutverschmiert zur nächsten Geburt weiter gereicht. Geputzt wurde auch eher selten und unregelmäßig.
In Deutschland gibt es etliche Standards und Vorschriften darüber wie man beispielsweise einen Blasenkatheter legt. Hier macht man einfach kurzen Prozess und legt diesen ohne Desinfektion und Handschuhe.
Aber es funktioniert scheinbar! Ich habe kaum etwas von Komplikationen mitbekommen, was natürlich auch daran liegen kann, dass die Patienten nicht so lange wie bei uns im Krankenhaus bleiben und wir somit die Komplikationen nicht  mitbekamen.

Die Hauptarbeit der indischen Krankenschwestern besteht in der Ausführung der medizinischen Anordnungen. Die richtige Pflege des Patienten wird von dessen Angehörigen übernommen. Diese müssen sich um das Waschen, Anziehen, den Toilettengang und im privat hospital auch um das Essen kümmern. Ohne Angehörige ist es hier in Indien nicht möglich ein Krankenhaus aufzusuchen. Jeder Patient bringt somit mindestens zwei bis drei Verwandte mit, die natürlich auch im oder vor dem Krankenhaus übernachten.
Auch die Beziehung zu den Patienten ist eine ganz andere als in Deutschland. Ich bin manchmal über den Umgangston sehr erschrocken. Die Patienten oder auch die Angehörigen sind einfach nur die Empfänger von Anweisungen.

Das Verständnis von Pflege ist ein komplett anderes.
Dennoch bin ich sehr froh, diese Einblicke bekommen zu haben! Ich habe so unglaublich viel gesehen, gelernt und mitgenommen von diesem Einsatz, am meisten aber bin ich dankbar für die ganzen Dinge und Möglichkeiten, die uns in Deutschland zur Verfügung stehen.
Bei uns müsste nie ein 750 Gramm schweres Frühgeborenes entlassen werden, weil wir keinen Brutkasten zur Verfügung haben.
Bei uns muss man die Handschuhe nach dem Tragen nicht sammeln, um sie zu waschen und dann anschließend wieder zu verwenden.
Bei uns müssen sich die Menschen ohne Angehörige keine Gedanken machen, wie sie einen Krankenhausaufenthalt meistern können.
Wir haben alles und noch mehr, wir leben in einem Überfluss und sollten wirklich sehr dankbar dafür sein.
Ich bin es auf jeden Fall!
Steffi



 Die typische Neugeborenenversorgung im private hospital.

Der Kreißsaal im private hospital.

Der Staff von Bobbili.

Der Kreißsaal im government hospital.




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